Die Luitpoldbrücke
1888 wird die alte Holzbrücke über die Wertach baufällig
Die im 19. Jahrhundert bestehende hölzerne Brücke über die Wertach war nur für geringen Verkehr ausgelegt. 1888 wurde sie baufällig und sollte möglichst schnell repariert werden, doch die Gemeinden Stadtbergen und Leitershofen wollten nicht mitzahlen. So verzögerten sich die Arbeiten so lange, bis die Brücke am 10. Mai 1890 von einem Tag auf den anderen wegen Einsturzgefahr gesperrt werden musste. Dies wollte sich die Fabrik Spinnerei und Buntweberei nicht gefallen lassen und erreichte die Einberufung einer Bürgerversammlung in den Schwarzen Adler. Dort wurde ein wohl einmaliger Plan ausgearbeitet: Die Pferseer Industriellen ließen auf eigene Kosten eine provisorische Fahrbahn erstellen. Jeder Benutzer sollte einen Teil der Baukosten tragen. Die königliche Regierung erteilte die Erlaubnis dazu, nicht aber der Stadtmagistrat, der konstatierte: Eine nur auf die Industriellen beschränkte Nutzung ist unstatthaft. Nach 10 Tagen durfte diese nun schon vorhandene provisorische Fahrbahn mit städtischer Genehmigung doch befahren werden, aber ohne Gebühr. Die Industrie beschwerte sich daraufhin bei der Regierung, mit der Begründung, Pfersee decke den größten Theil seiner Bedürfnisse in Augsburg ... Unmassen von Brod und anderen Lebensmitteln und der ganze Bierbedarf komme über die Brücke. Außerdem zahlten die Industriebetriebe jährlich Tausende von Mark Pflasterzoll und hätten daher eine andere Obsorge für ihren Verkehr erwarten dürfen. Was endgültig aus diesem Streit wurde, geht aus den Akten nicht mehr hervor.

1906 reißt ein Hochwasser die geflickte Brücke mit
Es scheint so zu sein, dass die Brücke so weit zusammengeflickt wurde, dass sie bis zum Pfingstsamstag 1906 hielt. An diesem Tag wurde der Steg durch ein Hochwasser weggerissen und 3 Stunden lang mussten die Pferseer die überflutete Straße durchwaten, und manches etwas derbe Wort ist über die maßgebende Aufsichtsbehörde gefallen, da sich das Anbringen eines Notstegs so furchtbar lange verzögert hat. Es wurde darauf hingewiesen, dass wohl erst eine größere Katastrophe kommen müsse, bevor die zuständigen Behörden reagierten. Was zunächst getan wurde, war lediglich, dass die Straßenbahnfahrgäste vor der Brücke aussteigen, den Notsteg zu Fuß überqueren und dann wieder in einen auf der anderen Seite wartenden Wagen einsteigen mussten.
Aber immerhin setzte sich im Stadtrat die Meinung durch, dass man doch wohl oder übel darangehen müsste, eine neue Brücke zu planen, da die alte so konstruiert war, dass der Straßenbahnbetrieb ohnehin nur durch zusätzlich angebrachte Stützpfeiler ermöglicht wurde. Dies bedeutete aber noch lange nicht, dass auch gebaut wurde. 1908 diskutierte man im Stadtbauamt erst einmal über die drei zur Auswahl stehenden Modelle: eine relativ billige Holzbrücke, deren Haltbarkeit aber als zu gering erschien, eine Eisenkonstruktion, die als zu teuer verworfen wurde und eine Eisenbetonbrücke, 13,6 m breit und 52 cm höher als die alte. Dieser letzte Vorschlag, der des Stadtbaurats Deutschenbaur, wurde schließlich auch genehmigt. Doch die bayerische Staatsregierung verweigerte ihre Zustimmung.
So konnte ein Jahr später nur die hölzerne Notbrücke gebaut werden. Ende 1910 – die Eingemeindung stand unmittelbar bevor – hieß es in einem Artikel der Augsburger Mittelstandszeitung, Folge dieser mangelhaften Zustände seien auf Pferseer Seite geradezu unhaltbare Mängel in der Bewohnbarkeit eines großen Teils der zukünftigen Vorstadt Pfersee. So blieb nur die Hoffnung, daß sich dieser Zustand nach der Eingemeindung ändern würde.

1911 kommt es endlich zu Beratungen über einen Neubau
Der Stadtmagistrat setzte immerhin "schon" 1911 Beratungen über den Brückenneubau an. Als zugkräftiges Argument wurde dieses Mal von Pferseer Seite ins Feld geführt, dass das Militär auf dem Weg zum Exerzierplatz diese Brücke benutzen müsste und dass ohnehin ein Ausbau der Rosenaustraße geplant wäre. So wurden von verschiedenen Firmen Angebote eingeholt. Die Nürnberger Firma Dyckerhoff & Widmann, die mit 138.200 M das billigste Angebot machte, erhielt den Zuschlag. Obwohl die Gemeinde auf den baldigen Baubeginn drängte und die Notbrücke bereits als zweite Wertachbrücke weiter im Süden vorgesehen hatte, geschah wiederum zunächst nichts: Die Regierung in München, die für einen Teil der Baukosten hätte aufkommen müssen, zögerte den Baubeginn hinaus. Im September 1911 passierte schließlich das, was jeder schon lange erwartet hatte: Ein böhmischer Weber wurde in den 20 cm zwischen der Straßenbahn und dem Brückengeländer eingeklemmt und erlitt Rippenquetschungen. Diesen Vorfall nahm die Gemeinde zum Anlass, einen Monat lang eine Verkehrszählung auf der Brücke durchzuführen, um die Dringlichkeit des Neubaus auf drastische Art zu demonstrieren.

Verkehrszählung 1911
Die Zahl der Fußgänger schwankte dabei zwischen 12.350 und 4.750 pro Tag, wobei der Höchststand am ersten Tag erreicht wurde. Vermutlich nutzten einige Pferseer die günstige Gelegenheit, einige Male die Brücke zu überqueren, um dem Anliegen der Gemeinde Nachdruck zu verleihen. Dafür befuhren an diesem Tag nur 4 Automobile die Brücke; die Höchstzahl hier war 40 pro Tag.

1912 verbreiterte man die hölzerne Notbrücke um einen zwei Meter breiten Fußweg – was bedeutete, dass man an diese einen hölzernen Fußgängersteg anhängte – was durchaus den Schluss nahe legt, dass die Augsburger Planungsbehörden trotz allem keineswegs an einen Neubau dachten. Untermauert wurde dies durch die behördliche Feststellung, die Brücke sei nur mit 88,2-89,2 kg/cm2 belastet (als Höchstgrenze galten 90 kg/cm2) und demnach keineswegs überbeansprucht. Warum dann doch Gewichts- und Geschwindigkeitsbeschränkungen erlassen wurden, wurde nicht erklärt. Für jeden Benutzer (vom Pferd bis zur Straßenbahn) galt Schrittgeschwindigkeit; nur 60 (in den Akten heißt es 40) Personen durften in der Tram die Brücke überqueren und Militär durfte nicht im Gleichschritt marschieren. Nicht einmal die Tatsache, dass der Pferseer Abgeordnete Wörle das Brückenproblem im Landtag vorbrachte, setzte den Amtsschimmel in Bewegung.


Ausreden und Hochwasser
Bis 1918 bezahlte man lieber immer wieder teure Reparaturen, als den Neubau in Angriff zu nehmen. Dabei drehte sich die Verwaltung ständig im Kreis: ohne Brücke keine ausreichenden Gas- und Wasserleitungsrohre; ohne Hochwasserschutzbauten keine neue Brücke; wegen des Krieges überhaupt keine Brücke usw. Um Argumente war der Stadtbaurat Deutschenbaur bis 1918 nie verlegen: Erstens müsse erst die Absenkung der Wertach fertig sein (damit hatte man bis 1918 noch überhaupt nicht begonnen); zweitens gäbe es weder Material noch Personal (woran weder die Straßenbahnverlängerung noch der Schulhausneubau scheiterten); drittens wäre die Notbrücke weder baufällig noch seien die Verkehrsverhältnisse so schlimm, wie von den Pferseern behauptet (man vergleiche die Ergebnisse der Verkehrszählung 1911). Außerdem sei die Brücke im Eingemeindungsvertrag nur unter den "Wünschen" aufgeführt.
Sein drittes Argument wurde bereits einige Tage nach diesen Aussagen schon widerlegt – ironischerweise wegen eines Hochwassers, bei dem die Notbrücke durch Treibeis und angeschwemmtes Holz so beschädigt wurde, dass ein Pfeiler geknickt wurde, das Trinkwasserhauptrohr leck schlug und der Straßenbahnverkehr während der Ausbesserungsarbeiten für 10 Tage stillgelegt werden musste. (Amtlicherseits wurde dagegen betont, dass nur der Fußgängersteg beschädigt wurde und dass das Treibeis der Brücke selbst nichts ausgemacht hätte.) Jetzt plötzlich, als diese schon Jahre früher befürchtete Katastrophe eingetreten war, reagierten die Augsburger Behörden und trieben sowohl die Planungen für den Kanalbau als auch für die Wertachbrücke voran. Zuerst sollte ein Kanal parallel zur Wertach gebaut werden und unmittelbar nach Kriegsende auch die Brücke. Doch den Worten folgten – wie üblich – erst einmal keine Taten. Es bedurfte eines erneuten Hochwassers an Weihnachten 1918, damit immerhin schon im März 1919 ein Wettbewerb für den Brückenneubau beschlossen werden konnte, der Ende des Jahres auch tatsächlich stattfand. Das Siegerprojekt war die Planung "Freier Durchfluss" von Diplomingenieur Julius Theodor Schweighardt, beauftragt von Dyckerhoff & Widmann. Begründung: Er habe das Problem der Wertachabsenkung und der Abstützung der Notbrücke technisch am besten gelöst. Was er zu planen hatte, war eine 10 m breite Brücke über den Fluss allein – gebaut wurde aber schließlich eine 13,6 m breite Brücke über die Wertach und den neuen Kanal. An den Baukosten wollte sich der Staat zur Hälfte beteiligen. Diese wurden im Mai 1920 auf ca. 3,7 Millionen veranschlagt. (Im Vergleich dazu: der Neubau 1911 hätte ca. 140.000 M gekostet; die Notbrücke erforderte einen finanziellen Aufwand von nur 17.000 M). Diese Kostenexplosion ist nicht nur auf die größere Breite und Länge zurückzuführen, sondern hauptsächlich auf die unmittelbar nach dem Krieg einsetzende Inflation. So betrug z.B. die Teuerungsrate von März bis April 1920 bereits 34%. Die Kriegsfolgen sind auch an drei anderen Punkten in Bezug auf die Brücke abzulesen:

1. Die Stadt verlangte von der Baufirma, mit Augsburger Unternehmen zusammenzuarbeiten. Die Firma Thormann & Stiefel sollte im Unterakkord Teilarbeiten übernehmen. Dafür sollten staatliche Zuschüsse fließen.
2. Weitere 500.000 M wurden für den Einsatz von Arbeitern im Rahmen der produktiven Erwerbslosenfürsorge gezahlt.
3. Als bis August 1920 der Preis für Rundeisen zurückging, wurden die Baukosten "nur" noch auf 2.140.000 M geschätzt.
Endgültig kostete der gesamte Bau dann doch 3.253.831,80 M.


1921 ist die Luitpoldbrücke fertig
Am 29.10.1921 war endlich vollendet, worauf die Pferseer so lange gewartet hatten – die neue Brücke, nach Prinzregent Luitpold genannt, konnte eröffnet werden. Dem Anlass entsprechend fand eine Feier statt, bei der der 1. Bürgermeister eine Ansprache hielt und (sonderbarerweise nur) die 1500 katholischen Schulkinder ab der 3. Klasse auf der Brücke Spalier standen. 300 Kinder durften singen, eines ein Gedicht vortragen. Nachdem der Bürgermeister den Verkehr freigegeben hatte, dürfte Punkt 8 des Festprogramms angesichts des leichten Schnee[s] und kalte[n] Wind[s] der wichtigste gewesen sein: Frühschoppen in der Restauration Zur Goldenen Kanne.


Dr. R. Weggel
K. Blöchl